Früher wäre die Verwertung aller Teilstücke eines Tieres ganz normal gewesen. Denn Fleisch war ein Luxusprodukt und das Weggeben von Teilen davon undenkbar. Ein Blick auf die Teller von heute zeigt ein anderes Bild: Steak, Braten oder Schnitzel dominieren die Speisekarten. Laut Fleischatlas der Heinrich-Böll-Stiftung werden je nach Tierart in der Regel höchstens 40 bis 55 Prozent des geschlachteten Tieres für den menschlichen Verzehr genutzt. Doch gibt es bereits Initiativen, die sich auf das ursprüngliche Handwerk besinnen und dem gesamten Tier bis hin zum Teller Respekt entgegenbringen – von der Schnauze bis zum Schwanz. Eine davon ist die neu entstandene Kooperation zwischen der Gusto Gourmet GmbH aus Oberkochen (dem Betreiber der Betriebsrestaurants der Carl Zeiss AG in Oberkochen und Aalen) und dem Biohof Dauner aus Sontbergen. Ab sofort bekommen die Mitarbeitenden der Carl Zeiss AG nämlich „Spezialitäten vom Bio-Rind“ serviert. Das Besondere daran: es werden keine 500 Steaks oder Schnitzel bestellt, sondern das ganze Tier abgenommen. Im Fachchargon heißt dies „Ganztierverwertung“.
„Teilstücke kann jeder.“, schmunzelt Anton Schmidt, Geschäftsführer der Gusto Gourmet, der die Arbeit mit regionalen Bio-Produkten als Zugewinn sieht. „Wir haben viele ausgebildete Köche, die Lust haben, ihrem Handwerk mit Engagement nachzugehen. Die Verwertung eines ganzen Tieres ist anspruchsvoll und erfordert viel Kreativität, Kochkunst und handwerkliches Geschick.“ Oliver Wagner, Küchenchef der Gusto Gourmet Betriebsrestaurants erläutert weiter: „Wir setzen Brühe und Soße aus den Knochen selbst an und gewinnen dadurch an Qualität dazu. Jeden Freitag schauen wir in die Kühlkammer nach dem Reifegrad des Fleisches und machen uns Gedanken, welche Gerichte wir nächste Woche aus dem Demeter-Rind kreieren können.“ Für die Tischgäste bei Zeiss heißt das zukünftig auch, neue Angebote auf dem Speiseplan vorzufinden.
Die Kuh im Dorf lassen
Oftmals sehen sich Milchvieh-Betriebe, wie der Biohof Dauner, vor der Herausforderung die männlichen Kälber, die sich nicht für die Milchproduktion eignen, früh vom Hof weggeben zu müssen. Männliche Kälber geben keine Milch und setzen aufgrund ihrer Rasse weniger schnell Fett und Masse an wie Fleischrassen. Verlässliche und gesicherte Abnahmen wie durch Gastronomen und Kantinen ermöglichen es, die Kälber am Betrieb zu halten und in der Region zu verwerten. Manuel Dauner vom Biohof Dauner ist stolz auf die Partnerschaft mit Gusto Gourmet „Wir produzieren für die Region und ich weiß wo die Tiere hinkommen. Das ist uns wichtig. Durch die Abnahme von ganzen Rindern – in dem Fall sind es Ochsen – können wir die Kälber selbst am Hof großziehen.“
Alle mit ins Boot holen
Nun heißt es auch noch die Tischgäste mit ins Boot zu holen und über das neue Speiseangebot zu informieren. Für den Start des neuen Menü-Plans haben sich die Partner daher verschiedene Aktionen überlegt: von Ausflügen mit dem Köche-Team zum Biohof bis hin zum Besuch der kooperierenden Bauern und Molkereien in der Mensa, um mit den Tischgästen ins Gespräch zu kommen.
Weitere Kreise ziehen
Die Abnahme der Rinder soll nur der Anfang sein. Bereits jetzt haben sich Anton Schmidt und Oliver Wagner über weitere Produkte des Biohofs Dauner informiert. Die Beluga-Linsen stehen bereits als vegane Bolognese auf dem Speiseplan und die Milchprodukte der vom Biohof Dauner belieferten Hohenloher Demeter-Molkerei Schrozberger Milchbauern gibt es im werkseigenen Shop zu erwerben. Die nächste Kooperation steht bereits in den Startlöchern. Die Firma Pentz aus Essingen, die Gemüse und Salate geschnitten und verarbeitet anbietet, hat sich für die Zusammenarbeit seit September 2021 bio-zertifizieren lassen. So können zukünftig vielleicht auch die Kürbisse aus Sontbergen auf den Tellern in Oberkochen und Aalen serviert werden.
Die Regionalmanagerin der Bio-Musterregion Johanna Böll freut sich: „Die Akteure versuchen hier richtig etwas aufzubauen und eine Runde Sache daraus zu machen. Da können wir richtig stolz auf unsere Region Heidenheim und Ostalbkreis sein. Auch das Klinikum Heidenheim hat sich bereits erfolgreich bio-zertifizieren lassen. Damit ist es eine der wenigen Kliniken die diesen Schritt bisher gegangen sind.“
Das Projekt „Bio in der Gemeinschaftsverpflegung“ zieht seine Kreise und die Wertschöpfung und Zusammenarbeit in der Bio-Musterregion Heidenheim plus wächst. Für die Landwirte ist dies ein wichtiges Signal: „Mein Opa hat schon Kartoffeln an Zeiss geliefert. Da freue ich mich natürlich riesig, dass wir das nun wieder geschafft haben.“, resümiert Manuel Dauner.
Hintergrundinfo:
Die Carl Zeiss AG mit ihrer Tochtergesellschaft Gusto Gourmet GmbH ist eine von sieben Kantinen in der Bio-Musterregion Heidenheim plus, die sich im Rahmen des Projekts „Bio in der Gemeinschaftsverpflegung in Bio-Musterregionen“ zum Ziel gemacht haben, 30% ihrer Lebensmittel in Bio-Qualität möglichst aus der Region zu beziehen. Neben der Firma Zeiss sind zudem das Klinikum Heidenheim, die eva Heidenheim, die Stadt Herbrechtingen mit dem Bibrischschulzentrum und dem Caterer Paco`s Speisewerkstatt, die Gemeinde Sontheim an der Brenz mit der GWRRS Schule und dem Caterer Pappe Feinkost, sowie die Firma Hartmann aus Heidenheim und die Freie Waldorfschule Heidenheim dabei. Das Projekt wird vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz koordiniert. Insgesamt nehmen 49 Kantinen in sechs Bio-Musterregionen an dem Projekt teil. Die Kantinen der Bio-Musterregion Heidenheim plus sind demnach Teil einer Baden-Württemberg-weiten nachhaltigen Bewegung.
Mehr Infos unter: www.biomusterregionen-bw.de/BioGV