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Bio-Musterregion
ENZKREIS
Sie war eine der ersten Bio-
Musterregionen in Baden-Württemberg. Neben einer
Text: Heike Schillinger - Fotos: Michael Bode land und Streuobstwiesen bis hin zu Wald und Weinbau
hohen Vielfalt an Agrarprodukten – von Getreide, Grün-
große Rolle.
o hatten wir uns Dornröschen wirklich nicht vorgestellt:
– spielt hier der Öko-Landbau eine vergleichsweise
ölglänzendes Metall, simple Hydraulik, eine Bauart wie
S zu Kaisers Zeiten. Und mittendrin ein hochgewachsener
Prinz, der den 100-jährigen Schlaf mit einem Kuss beendet hat.
„Es waren nur 40 Jahre“, lacht Jürgen Krauth. „Und außerdem
war es auch mein Vater, der unserer historischen Ölpresse von
1904 neues Leben eingehaucht hat. Zum Glück, muss man sagen.“
Der Vater, Ulrich Krauth, ist 72, als es ihn noch einmal in
den Fingern juckt. 2002 will er sich und dem Rest der Familie
beweisen, dass das, was da hinter verschlossenen Türen vor
sich hin schlummert, noch funktioniert. Und dass er noch weiß,
wie man die alte Dame bedient. 1962 hatte sein Vater Fritz den
Betrieb der Ölmühle stillgelegt. „Als in den Nachkriegsjahren
kein Schlafmohn mehr angebaut werden durfte, kam das Ge-
schäft zum Erliegen“, erzählt Jürgen Krauth. Bis dahin kamen
die Leute mit ihrer Rohware her, ließen sie verarbeiten, zahlten
einen Presslohn und nahmen das Öl wieder mit. „Mein Opa hat
bestimmt 70 bis 80 Prozent Mohn gepresst – fast jede Familie
hatte damals ein eigenes Mohnfeld. Bis das Anbauverbot kam.“
Zurück ins Jahr 2002: Ulrich Krauth bekommt sein Dorn-
röschen tatsächlich wieder zum Laufen, demonstriert seiner
Frau, den drei Kindern und sechs Enkeln, was von den vier Öl-
müller-Generationen vor ihm an Wissen weitergegeben wurde.
Nur: Warum war die Ölpresse überhaupt so lange aufbewahrt
worden? „Sie war schlicht zu groß, zu schwer und zu sperrig,
um sie zu entsorgen. Der Platz war da, also wurde der Raum
zur Rumpelkammer“, erzählt Jürgen Krauth. Eine mit enormer
Anziehungskraft: Schon als Kind hatten ihn die breiten Trans-
missionsriemen, die ölglänzenden hydraulischen Pressen und
das Spezialwerkzeug fasziniert. Mit zunehmendem Interesse
verfolgt er, wie sein Vater, tatkräftig unterstützt von Ehefrau
Helga, die Ölgeschäfte wieder aufnimmt. Ein glücklicher Zufall
einmal … will es, dass seine Eltern in einer Radiosendung von der Ge-
schichte der Ölgewinnung erzählen. Als der Moderator fragt,
was man denn heute zum Pressen vorbeibringen könne, denkt
Ulrich Krauth spontan an Walnüsse. Und plötzlich laufen – oder Mitarbeiter Carl Bode schichtet Walnüsse
in den Presszylinder (oben). Wer 10 bis
wir sollten besser sagen: fließen – die Ölgeschäfte wieder. 13 Kilogramm Walnusskerne abgibt, be-
kommt dafür rund acht Liter Öl (unten)
,
„Jetzt muss ich Sie mal kurz allein lassen“ sagt Jürgen
Krauth und verschwindet hinter einem Garagentor. Heraus
kommt er mit 25-Kilo-Säcken. Bioland steht auf dem Etikett,
Ölmühle Illingen. Und: Leinpellets. Hatten wir nicht gerade
über Öl gesprochen? „Doch“, sagt der Ölmüller. „Aber bei uns
gibt es keine Abfallprodukte – weder in der historischen Öl-
presse noch hier in unserer modernen Schneckenpresse. Hier
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